Ausstellung „Come together. Formen – Spannungen – Dialoge“ im Projektraum C.30 zu Haan bei Düsseldorf (September-November 2019)
„Come together“: In den skulpturalen Objekten der Ausstellung kommen Fragmente, Gedanken, Gefühle, Metaphern, Wallungen zusammen, die im Prozess des Entstehenlassens emergierten. Diese finden sich in den folgenden Vignetten.
Cliff Hanger (Serie Hexenbuche)
Holz, Metall, Draht; ca. 76cm hoch, größte Breite 72cm, größte Tiefe 40cm
Entstanden nicht anhand eines Plans, sondern aus dem Material und seinen Formen, die zunächst nicht recht zueinander, aufeinander passten. Schließlich kombiniert, zusammengebracht, vereint: Eisen und Holz, hart und weich, fest und durchlocht.
Twist (Serie Alte Eiche)
Holz, Metall, Draht; Höhe: ca. 45cm, größte Breite: 36cm
3 Scheiben vom selben Ast, in direkter Folge voneinander getrennt, zueinander verdreht, verschobene Achsen, von der Wand weg-, herauskippend. Gleichzeitig aufstrebend, irgendwie schief das Ganze: Was die Natur einst als rundes Ganzes hervorbrachte, wird nun von technischen Materialien gehalten, neu formatiert und in einen rahmenden, eckigen, fast grell glänzenden Kontext gestellt.
Rotation Quotation Chakal (Serie Hexenbuche)
Holz, Metall, roter Aluminiumdraht; Höhe 80cm, größte Breite 40cm
Es war einmal ein Landart Projekt am Rhein und es hieß „Rotation“. Entstanden im Juni 2019 unter Anleitung des Landart-Künstlers Chakal aus Düsseldorf, hat „Rotation“ eine digitale Spur hinterlassen (zu finden unter https://www.chakal-artist.com/artworks). Doch diese digitale Spur ist auch schon alles, was davon blieb, denn bereits nach kurzer Zeit war das Objekt spurlos verschwunden. „Rotation Quotation Chakal“ zitiert diese Arbeit, der nur ein kurzes Leben vergönnt war, und transformiert sie. A difference that makes a difference: In dem Ensemble skulpturaler Objekte kommt in dieser Ausstellung nur einmal die Farbe Rot zum Einsatz: hier.
Come together (Serie Hexenbuche)
Holz, Metall; Länge: 110cm, größte Breite: 110cm, Höhe 59cm
Was geschieht hier? Bietet sich jemand an, fetischisiert, geil? Oder wird penetrierend erobert (aber was und von wem)? Wird jemand fixiert, eventuell gehalten vom mittelalterlichen Halsring? Es könnten aber auch Gliedmaßen eines Tieres, vielleicht eines Elefanten sein. Dann wäre der große und schwere, metallene Zahnkranz Symbol für die Zerstörung der Natur durch den Menschen. Oder nochmals ganz anders? It‘s ↑ 2 U.
Warped ahead (Serie Hexenbuche)
Holz, Metall, Draht; Höhe: 52cm, Breite: 35cm
Ab dem Moment, in dem die 3 wesentlichen Stücke zusammengedacht waren, ging alles sehr schnell. Mir war sofort eine Gestalt vor Augen, die das Zusammenspiel interpretiert von Metall und Holz, gerade und geschwungen, durchdringend und umschließend. In mehrfach verschobenen Achsen geben die leicht gekippt verschweißten Metallstücke und die beiden in unterschiedliche Richtungen weisenden Holzenden desselben Astes die Idee krummer Uneindeutigkeit eines nach vorn-oben weisenden, doppelten Fingerzeigs.
Flower Power
Holz, Metall, Draht; Höhe: 70cm, Breite: 18cm, Tiefe 25cm
Wer mit seinem Blick den hölzernen Krümmungen, Verwringungen, Verschiebungen, Verzweigungen, angedeuteten und wieder abgebrochenen Möglichkeiten zu folgen versucht, ist möglicherweise froh darüber, dass das metallen glänzende Trägerstück in seinem technischen Daherkommen eine Art solider Grundierung bietet.
Blaze (Serie Hexenbuche)
Holz, Metall, Draht; Höhe: 60cm, Breite 30cm
Krumme (hölzerne) Linie trägt dünne, filigrane Eisenärmchen. Das alles züngelt nach oben, ergänzt einander. Ist es eine Harke, eine Gabel, gar ein Musikinstrument? Verbunden durch dünnen Draht und abgestützt durch einen metallenen Ausleger erzählen Metall und Ast etwas. Aber was?
Funky (Serie Hexenbuche)
Holz, Metall, Draht; Höhe: 130cm, Breite: 60cm
Der arme, offene Rahmen: Es reicht nicht, dass er kaum etwas zu umschließen und im Zaun zu halten vermag; er wird auch noch durchbohrt, überwunden, umschlungen, beinahe verhöhnt. Technik, sich wiederfindend in den rechten Winkeln und dem blank polierten Material, scheint besiegt und überwuchert. Doch nur die Technik vermag alles zu halten. Ähnlich die rätselhafte und angebrochene Scheibe mit runden Löchern, die klare Ordnung andeutet und dennoch chaotisch umspielt wird. Welche Funktion mag das runde Metallstück in früheren Zeiten erfüllt haben? Jetzt immerhin hat es diese: Es zentriert. Und lässt zu, dass ein wilder Tanz stattfindet.
Witchcraft (Serie Hexenbuche)
Holz, Metall; Höhe: 117cm, Breite: 60cm
Wie viele Ebenen mögen es sein, die da aufgespannt werden? So viele Details zeigen sich, wenn man wirklich schaut: Knicke, Brüche, kühne Kurven. Und haben Sie das gesehen: ein nicht unterbrochener Ast, der von der einen auf die andere Seite führt, auf beiden Seiten homogen herauswachsend? Bald hatte ich ein Bild vor Augen, in dem kleine Hexen auf ihren Besen durch den x-dimensionalen Parcours sausen, während unten ein Wirbelwesen ruht. Oder ist das alles zusammen ein Wesen? Dann hätte die Hexenbuche mit dieser Skulptur ein neues Leben begonnen: aufgespießt, präpariert und schließlich zum Alien transformiert.
Gaming (Serie Alte Eiche)
Holz, Metall, Draht; Höhe: 130cm, Breite: 40cm
Alte Eiche, ein Aststück. Unschlüssig klopfe ich auf der Stirnseite herum: Wie kann es gelingen, das Stück in der Länge zu spalten? Und plötzlich: knackpling. Unfassbar, aber passiert, exakt so wie gewünscht. Doch lange Wochen geht es nicht weiter. Immer wieder nehme ich die beiden Hälften in die Hand, betrachte und drehe sie, kombiniere sie mit Metall, verwerfe und lege zurück, komme nicht weiter. Dann endlich weiß ich, was passieren muss: Ein Inneres muss sichtbar werden. Durch die Flämmung ergeben sich 2 Hälften, die sehr unterschiedlich wirken und kaum darauf schließen lassen, dass sie exakt vom selben Holze sind. Die Spur der Zusammengehörigkeit verwischt zusätzlich die leicht verdreht-versetzte Anordnung, gehalten von Technik (dem Zahnrad). Oder war es, ließe sich fragen, eben dieses Zahnrad, dass den Bruch herbeiführte? Der geschwungene Metallstab, der alles trägt und seinerseits über einen Zahnradfuß mit dem eisernen Träger verdrahtet ist, ist in seiner organischen Form unersetzlicher Kamerad im Spiel der Achsen und Ordnungen.
Seduced
Holz, Metall, Draht; Höhe: 180cm, Breite: 30cm
lust am votiv holz-eisern gedacht:
züngelnd umschlungen:
schlank-phallisch gemacht:
verdrahtet durchdringend durchdrungen:
schmiegend entlang und plötzlich distant:
verführend verführt behangen gespannt:
Eine besondere Ehre war ein Besuch von Prof. Dr. Elena Ungeheuer von der Universität Würzburg. Ihre Gedanken zu der Ausstellung erschließen weitere Perspektiven.
Als die Urkräfte Archebilder zeugten… Eine kulturhistorische Reise durch die Holz-Eisen-Ausstellung „Come together“ (Guido Wolf) im Projektraum C.30 Haan
von Elena Ungeheuer
Gaia und Uranos, Yin und Yang, Kreis und Linie, Frau und Mann, Wiederkehr und Fortschritt – Guido Wolf widmet seine skulpturellen Arbeiten dem Zusammenspiel des Elementaren und erreicht mit deren Zusammenspiel im Ausstellungsraum einen querbezüglichen Parcours durch wesentliche Etappen kultureller Phylogenese. Es wird ineinander verwoben, penetriert, aufgehängt, umspielt, verschlauft, genagelt, eingelocht, verästelt, geschichtet, zentriert. Das alles geschieht aber nicht im Stil einer skulpturellen Ecriture automatique, sondern ausagiert und pointiert. Jede einzelne Skulptur bringt das Ergebnis eines Arbeitsprozesses auf den Punkt, dem mal ein Ringen, mal eine Leichtigkeit, auf jeden Fall aber eine Verpflichtung zur reduktiven Strenge der stimmigen Formulierung deutlich anhaftet.
Eben jenes die Leichtigkeit nicht opfern wollende Ringen nimmt zunächst einmal, was da ist. Das Vorgefundene der Skulpturen sind Objet trouvés aus dem Wald und vom Schrottplatz. Es geht um ontogenetisch prägeformte Hölzer in ihren Längen, Kurven, ihrem Drall des Wuchses, ihrem Volumen des Durchmessers. Die Eisen sind vielgestaltig als Zahnrad, Nagel, Draht, Winkel, prägeformt durch die Funktionalität als ihrem Dispositiv. Beider nicht hintergehbare Kräftedynamiken greift Wolf auf, verlängert sie. Doch wird nichts einer Ideologie der Harmonie im Stil von “Eisen rahmt Holz” oder “Holz wächst aus Eisen” unterworfen. Wolf intensiviert inhärent Widerspenstiges, Nicht-Eindeutiges, Unvereinbares des Einzelnen mit sich und mit dem anderen: Warum symbolisiert gerade das weiche Holz das Männlich-Durchdringende? Wieso wirken die exakt abgezirkelten Kreise und Löcher im Eisen als mythische Erscheinungen weiblichen Umfassens? Was entscheidet, welche Kraft obsiegt? Gibt es überhaupt ein nicht-konkurrierendes Miteinander, das aus dem Patt der Potenziale herausführt?
Soweit beschrieben könnte man sich immer noch in einem anthroposophischen Tanz der erdsüchtigen und der erdflüchtigen Geister wähnen. Ja und nein. Wolfs Interaktion mit dem Grundlegenden endet nicht in einer rituellen Rückversicherung ans biologische Fundament. Es emergiert ein forscher Zugriff auf Embleme der Kulturgeschichte, auf charakteristische Ausdrucksformen von Artefakten, also auf den Menschen als Demiurgen seiner ei-genen archetypischen Konstellationen (1). Sich selbst die Demiurgenschürze anlegend agiert Wolf stellvertretend für dasjenige, was er thematisiert. Er umkreist kulturelle Archebilder (2) so lange, bis die Hölzer und Eisen in seinen Händen dem jeweiligen Kraftzentrum des Archebilds nahe kommen, bis das Szenario “einschnappt”.
Damit wächst dem Ganzen der 12 Objekte ein kulturvergleichender Gestus zu, mithin eine Doppelverbeugung vor dem, was ist, und vor dem, was daraus kulturell, künstlerisch, architektonisch, bauingenieurstechnisch, forschend bereits gemacht wurde. Dazu lädt die Ausstellung ein: Laufend zwischen den Ebenen zu wechseln, das von Wolf Geschaffene, von Menschen Geschaffene, von Gott Geschaffene, von den Arbeiten Geschaffene gegeneinander, ineinander, miteinander und im Vergleich mit den eigenen inneren Archebildern zu erleben: Come together.
Betritt man den Ausstellungsraum, bieten sich mittig zwei mögliche Startpositionen für den Parcours an. Oder wir vereinen beide Objekte zu einem Doppelbild. Da ist ein mächtiger Mammutknochen auf dem Boden liegend, dessen Potenz auch nach Millionen von Jahren seine Imposanz nicht einbüßt. Ihm ist ein ebenfalls mächtiges Zahnrad übergestülpt; der Synchronschnitt im Vorgang der Penetration wirkt symbolisch, signalisiert das Thema der Ausstellung: Es geht um den Zeugungsakt als Ganzes, aber es geht auch und vor allem um die Potenz als solche, die sich hier roh und ungeschminkt präsentiert.
Und da ist die Skulptur rechts daneben. Sie symbolisiert die Potenz des Machens. Der dieses Mal langgestreckte dünne Holzphallus, ein veritabler Garderoben-Ständer, lässt sich behängen mit allerlei kulturellen Nützlichkeiten: einer Art eiserner Schuhlöffel, einem handlich kleinen Zahnrad, einer Haltevorrichtung, durch die aktuell ein Draht geführt ist und an der man sich vorstellen kann, weiteres aufzuhängen. Die Arbeit führt gleichermaßen spielerisch (eine Skulptur, die den Betrachter dazu einlädt, diese selbst zu behängen) wie funktional ins generische Prinzip von Kultur ein. Potenz als Option: Ich nutze deine Möglichkeiten, um meine Interessen (des Aufräumens, des Positionierens, des Festhaltens) umzusetzen.
Der Blick geht nach rechts an die Wand, wo ein Geflecht von Ästen sich anstrengt, ein deutlich erodiertes Zahnrad zu bespielen. Doch wer wann wo durchschlüpfen kann, wie die Äste sich untereinander bezwingen, auf welche Gesamtspannung sie sich miteinander (nicht) einigen können, von diesen Kämpfen zeugen nicht zuletzt die starken Drähte, die sie schlussendlich in einem Arrangement gefesselt halten. Darunter, aber eigentlich darüber schwebt das immakulate kreisrunde Innenloch des Zahnrads, das mythische Ruhe, unberührbare Verlässlichkeit der Wiederkehr und alles umfassende Weisheit in den ganzen Ausstellungsraum ausstrahlt. Die alles affizierende Dominanz des Archebilds Kreis birgt unabweisbare Antworten auf oben gestellte Fragen; während des Gangs durch die Ausstellung geht der Blick immer hierhin zurück.
Die Sichtachse vom mythischen Kreis führt zur gegenüberliegenden Wand und stabilisiert sich als eine die gesamte Dachkonstruktion der Ausstellung tragende Fette. Eine dritte Figur drängt sich in den Vordergrund, welche beide Arbeiten (rechts in groß, links in klein) miteinander verbindet: ein silberner, also nicht verrosteter, Eisenwinkel. Eisen nicht als Rund, sondern als exakte Länge mit scharfen 90°Winkeln, die nicht wilde Potenz versprüht, sondern das Lineal gemahnt, die Rechenkunst (3), die Gradlinigkeit, die Strenge. Doch da widerstrebt etwas, den Edelstahl einfach den hölzernen Penissen zuzuschlagen. Eine andere Polarität tut sich auf: nicht mehr weiblich rund gegen männlich Linie, sondern intellektuell berechnend (4) gegen biologisch wuchernd. Rechts, im Bannkreis des Mythos, bietet das Rechenlineal die Andeutung eines Rahmens an, darin dem Eisen des mythischen Rings stark verbunden. Gaias Potenz umfasst beides: Körper und Geist. Links ist das (kleinere) Lineal korporale Rückenstütze der kulturellen Gestalt, die sie zusammen mit den drei Baumscheibchen bildet: der Buchstabe “E”, der – wie einst von den ersten Insignien der Gestalttheoretiker genau aufs E gebannt – das Gesetz der Erfahrung manifestiert. Was die Erinnerung zum Symbol hat werden lassen, drängt die Materie in den Hintergrund. Im Vordergrund also Kultur, die über die West-Ost-Sichtachse mit dem Mythos verbunden noch einmal das duale Ausstel-lungsthema architektonisch verankert.
N.B.: Das westliche “E” ist in sich eine Reflexion von Skulptur an sich. Die Skulptur – anders als die Plastik – kerbt aus. Die Lücken zwischen den drei Ebenen des E sind Auskerbungen aus dem einstigen ganzen Baumstamm, dem die drei Scheiben entstammen. Auskerbung als Dazwischen als bedeutungstragender Raum macht das Prinzip Skulptur zu einem kulturellen Bedeutungsgenerator.
Der kulturgeschichtliche Rundgang beginnt mit der Gegenwart (vom Startpunkt aus auf 14 Uhr). Das ist das faunischste der Gebilde, ein filigranes Insekt, dessen Metallanteil ganz luftig auf dem Holz aufliegt und seine langen dünnen Fühler abspreizt. Das Eisen geht hier in die Luft, das Holz bindet zum Boden. Das Insekt hat in der aktuellen Umwelt- und Nachhaltigkeitsdebatte einen emblematischen Platz erobert. Ob wir in Bälde unseren notwendigen Eiweißkonsum von Insekten als neuer Beilage auf dem Mittagsteller beziehen werden, ob es um das rasante Artensterben gerade in der Insektenwelt geht, ob das Naturbewusstsein sich mehr und mehr auf die Kleinstlebewesen bezieht: Insekten rufen uns heute auf, sie sind politisiert und sie weisen uns den Weg.
Andere Rollen im Umgang mit Holz und Eisen zeigt die zweite der Fauna gewidmeten Arbeit: das verletzte Pferd. Hier funktioniert das Eisen doppelt, nämlich als Hufeisen die Basis fürs Gehen liefernd und als Manschette die Fessel schützend.
Damit ist es eine von Menschenhand zweifach beschlagene Fauna. Das Pferdebein ist seinerseits abstrahierend zweigeteilt. Die beiden Enden des gekurvten Holzes ragen wie die anatomisch eigentlich enggeführten Vordermittelfußknochen und Griffelbein in künstlerisch überhöhter Distanz nebeneinander empor.
Jetzt geht der Schritt vom idealtypischen Doppel-Startpunkt aus Richtung 13.00 Uhr. Hier empfängt uns eine der anmutigsten und dekorativsten Kulturepochen: der frühe Jugendstil. Früh, weil die das Gotische gemahnenden, aber entspitzend senkrecht positionierten Rechtecke, die die Fassaden des frühen Jugendstil zieren, wiederum vom edelstählernen Lineal symbolisiert werden. Hemmungsloser Jugendstil, weil der hölzerne Phallus weicher nicht daher kommen kann als in endlosen Verschraubungen und floral verzierenden Bewegungen dieser schlanken Fänge. Das Gebilde ist auf dem Lineal aufgebracht mit zarten Drähten, alles bleibt filigran und luftig.
Die Kehrtwende Richtung 17 Uhr führt ohne Umschweife zum anderen Thema des frühen 20. Jahrhunderts: dem Maschinenkult. Die Endlosigkeit schnurrender Zahnräder, tickender Fließbandabläufe, die Ästhetik der Montage – hier befinden sich Holz und Eisen fest im gemeinsamen Dienst an der Ingenieurskunst zusammen gezurrt. Entsprechend kompakt – wenngleich nicht ohne Ironie eines disproportional dünnen Stengels, der verbindet – und unmissverständlich kommt diese Skulptur daher.
Und auch die Dritte im Bunde des kulturgeschichtlich hoch energetischen und versprechungsseligen frühen 20. Jahrhunderts fehlt natürlich nicht. Eigentlich hätte man sie gleich zu Beginn sehen müssen, wie sie da direkt links neben der Eingangstür schwebt. Die Tänzerin, die keinen Boden braucht, um in sich stabil, dabei unendlich leicht und elegant ihr Ziel ganz woanders da oben kennt. Modern Dance, intensive Forschungen an Tanzchoreographie und Notationen zur Choreographie, Josephine Baker sind die Leuchttürme der ebenso maschinen- wie körperversessenen und vor allem tanzaffinen 10er und 20er Jahre. Beides verbindet das Moment der Bewegung, beides trennt das, was Künstlichkeit und Lebendigkeit niemals zusammen gehen lässt.
Die Tänzerin wird für die meisten Besucher erstmal von der Wucht des Mammutknochens und dem stolzen Sich-Behaupten des kulturbezeugenden Garderobenpfahls als Doppel-Startpunkt überdeckt. Und doch ist die Tänzerin das Juwel der Sammlung: unendlich schön und stimmig, jenseits aller Querelen, seren und rein braucht sie keinen Sexus, sie ist Lust pur. Das ist sie für sich, dafür braucht sie keinen Kontext, keine Ausstellung, keinen Betrachter. Für die Ausstellung markiert sie nicht zuletzt die vierte Achse, nämlich oben-unten. Ihr Counterpart, der tiefgelegte Mammutknochen, ist in jeder Hinsicht ihr Anti-Held. Da geht es um leicht versus schwer, Verzauberung versus Drang, fein versus grob und auch licht versus dunkel.
Zurück zum Hintergrund der Maschinenmaschine. Dort an der Wand ist die kulturhistorisch frühere Referenz, die in die Hochblüte des 18. Jahrhunderts führt: Jean-Jacque Rousseaus Spielzeug, das den guten Wilden feiert, das präsozialisierte Kind, die Unschuld des Seins. Wippe und Rutsche in einem ist das Holz hier gänzlich entsexualisiert, luftverbunden wie sein räumliches Gegenüber, die Tänzerin. Die Unschuld des Kindes ist auch schön, aber nicht sinnlich schön, sondern einfach schön, darin nicht weniger traumestrunken.
Einen kulturgeschichtlich großen Schritt zurück geht die Arbeit, die auf 11 Uhr sich vor der Wand auftürmt. Die Wikinger kommen! Mit wehenden (Holz-)Fahnen, von der Gischt kess und fordernd aufgebockter Bugnase, verkürztem und darin umso kraftvoller gedrungenem Eisenleib schiebt sich dieses Meisterstück früher Konstruktionslogik als hoch aufgetürmtes kampfeslustiges Kraftelement durch die Elemente Wasser und Luft. Der Sexus ist vollständig transformiert in eiserne und hölzerne Lebenskraft, die untereinander nicht buhlen, sondern gemeinsam das Volk beflügeln.
Das wäre alles schon sehr viel, wenn da nicht noch das in den Backstage-Bereich des Ateliers c.30 abgeschlagene Ende wäre. Das Wesen, das als Relikt frühester Wirbeltiere sein Markenzeichen, die aufrechte Wirbelsäule demonstriert, über der sich in gebührendem Abstand das hölzerne Gewinde von Gedärmen und Gliedmaßen auffaltet.
Metall hier als Zentralachse, Holz als physiologische Struktur. Als Endpunkt bildet es mit dem am Boden zum hölzernen Torso gewordenen und gnadenlos weiter Hormone ausschüttenden Mammut die achte (oder war es schon die neunte) Achse: nackte Kraft versus verkleidete Figürlichkeit. Das Wirbelwesen gemahnt das naturkundliche Museum, in dem wir es realiter besuchen könnten, und befragt die gesamte Ausstellung damit als Lehrstück, als Propädeutikum, als Anschauungsmaterial für das, was jeder Betrachter und Erlebender dieser dichten Aufschüttung essentieller Ambivalenzen persönlich für sich ertragen kann und selbst zu leben willens ist.
Ob der Künstler seine über acht, neun, zehn Ebenen geschichtete große Erzählung der kleinen Erzählungen bewusst so geplant hat, scheint mir nicht die Frage zu sein, die es angesichts seiner Ausstellung zu verfolgen und etwa per interviewtechnisch erzwungener auktorialer Selbstaussagen abzusichern gilt. Intentionalität stellt ein kulturgeschichtliches Konstrukt dar, das sich an eine bestimmte politische Handlungsstrategie gebunden hat und unauflöslich an ein zweites Konstrukt, nämlich das des zweckrational agierenden Subjekts gekoppelt ist. Diese Erzähltradition wird von den Narrativen der Wolf-Ausstellung nicht bedient. Dass es vielmehr um das Erzählen der Kräfte selbst geht, versucht das Konstrukt der Archebilder zu verdeutlichen. Wenn sich Kräfte auf eine Weise formieren, dass sie sich auf besondere Weise gegenseitig dynamisieren und neue Kräfte freizusetzen in der Lage sind, dann beginnen sie von sich aus zu reden. Es ist eine Rede, die zwischen archetypischer Bildhaftigkeit und abstrahierenden Distanznahmen hin und her wechselt. Den Archebildern können auch wir intellektuelle Menschen als Teil dieses evolutiven Geschehens nicht entfliehen, wenngleich wir uns ihnen gegenüber – aus welchen Gründen auch immer – anästhetisch verhalten mögen. Dass sich aber Kräfte so formieren können und den in der Ausstellung vorzufindenden Grad der Anschaulichkeit erlangen, dazu bedarf es der ausgezeichneten Sensoren eines gestaltungswilligen Akteurs. Und einer manchmal vielleicht auch trotzigen Ausdauer, dem durchaus sperrigen Material seine Botschaft abzulauschen. Dafür danken wir Guido Wolf.
(1) Was die Anthroposophie bei genauer Betrachtung auch nicht tut, bezieht sie doch kulturelle Schöpfungen gezielt in ihre Rituale ein. Allerdings geht diesen Akten eine ideologisch kontrollierte Selektion und auch Reduktion der Kulturerscheinungen voraus, die als der Lehre gemäßen Rituale würdig anerkannt werden.
(2) als Portemanteau-Wort für “aus Archetypen geformte Bilder”.
(3) die auch schon den Zahnrädern innewohnt
(4) Mathematik als höchste Form der Geisteswissenschaft